Die Geschichte der Schierwaldenrather Bahnhofsgaststätte
Schierwaldenrath ist seit Ende 1972 der Betriebsmittelpunkt der Selfkantbahn, nachdem zu diesem Zeitpunkt der Standort Geilenkirchen, der zuvor diese Funktion für mehr als 7 Jahrzehnte für die Geilenkirchener Kreisbahnen wahrgenommen hatte, aufgegeben werden mußte. Seither ist die Schierwaldenrather Bahnhofsgaststätte ein bedeutendes Zentrum des sozialen Lebens der Selfkantbahn-Mitarbeiter.
Eine Darstellung ihrer Geschichte gibt es an anderem Ort nicht, und so fühlt sich das Kleinbahnmuseum Selfkantbahn verpflichtet, die Geschichte der Schierwaldenrather Bahnhofsgaststätte zu erforschen und in gleicher Weise zugänglich zu machen wie die der Geilenkirchener Kreisbahnen und der Selfkantbahn selbst.
Eigentümer und Pächter
Eigentüner und Pächter
Die Geschichte der Bahnhofsgaststätte in Schierwaldenrath ist so alt wie die der Geilenkirchener Kreisbahnen (GKB). Das Gebäude wurde gleichzeitig mit der Bahn errichtet (1899/1900), Bauherr und erster Wirt war Peter Josef Beckers, Bauer in Schierwaldenrath. Ob allerdings der Gaststättenbetrieb tatsächlich genau mit der Betriebsaufnahme der GKB, nämlich am 7. April 1900, erfolgte, ist unbekannt.
Sein Sohn Jakob, Jahrgang 1891, übernahm die Gaststätte trotz einer schweren Kriegsverletzung nach dem ersten Weltkrieg. Er heiratete 1922. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne und vier Töchter hervor, von denen die Töchter Annemie und Else noch leben. Nach dem Tode von Jakob Beckers im Jahre 1949 führte seine Frau Josefine die Wirtschaft zunächst alleine, dann von 1952 bis 1962 zusammen mit ihrer Tochter Else und von 1959 bis zu ihrem Tode im Januar 1973 gemeinsam mit ihrer Tochter Annemie, die nach 1945 für kurze Zeit als Serviererin bei der nicht unumstrittenen, doch gleichwohl legendären Wirtin der Kreisbahnhofsgaststätte Geilenkirchen, Frau Kriege ("Mutti Kriege"), gearbeitet hatte.
Ihre Schwester Luise war zwar beruflich als Vertreterin für die Wüstenrot-Versicherung tätig und demzufolge viel unterwegs (sie unterhielt zeitweise in Koblenz eine kleine Zweitwohnung), doch konnte sie bis Anfang der achtziger Jahre zumindest an Wochenenden noch sporadisch im Gaststättenbetrieb mithelfen. Annemie und Luise Beckers haben die Mitarbeiter der Selfkantbahn von deren frühesten Anfängen im Jahre 1971 an tatkräftig unterstützt. Es kann ohne Übertreibung festgestellt werden, daß die Hilfe der beiden eine entscheidende Voraussetzung dafür war, daß sich die Selfkantbahn nach dem Verlust des Stützpunktes Geilenkirchen Ende 1972 im Dorf Schierwaldenrath neu etablieren konnte. Den beiden Schwestern wurde aus diesem Grund anläßlich des 80. Geburtstages von Luise am 10. Dezember 2007 die Ehrenmitgliedschaft der Interessengemeinschaft Historischer Schienenverkehr e. V. verliehen.
Unübersehbar aus den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts stammt dieser Werbeaufkleber, mit dem Luise Beckers um Kunden warb.
Luise Beckers verstarb am 26. Juli 2012 im fränkischen Fürth, ihrem letzten Wohnort. Nach der Heirat mit Gerhard Kretschmann (+) hatte sie den Namen Kretschmann-Beckers angenommen. Mit ihr verließ uns nicht nur die letzte Trägerin des Namens Beckers aus der Geschichte der Schierwaldenrather Bahnhofsgaststätte, sondern auch eine der letzten Zeitzeuginnen der frühen Geilenkirchener Kreisbahnen überhaupt. Ihr folgte Johanna (verwitwete Kleinen), die am 22. November 2015 im Alter von 91 Jahren verstarb.
Annemie heiratete im Jahre 1975 Anton Heinrichs und verpachtete den Gaststättenbetrieb am 12. August 1981 an Albertine Hallmann (+), die ihn 14 Jahre lang gemeinsam mit ihrem Mann Willi führte. Am 1. September 1995 übernahmen Annemie und Max Schulz für mehr als zehn Jahre das Regiment hinter dem Tresen und übergaben es zum 1. Juli 2006 an Anke Kracht und Leo Robben. Ab dem 1. Mai 2008 sorgten Anni und Josef Rütten für das Wohl ihrer Gäste, erstmalig nicht nur als Pächter, sondern auch als Eigentümer des Gebäudes.
Leider verstarb Anni Rütten völlig unerwartet am 6. Mai 2014. Trotz dieses gravierenden Einschnittes im Leben der Familie Rütten gelang es ihrem Mann Josef, den Gaststättenbetrieb nahtlos fortzuführen und mindestens zu den Fahrzeiten der Selfkantbahn das gewohnte Angebot aufrecht zu erhalten, so daß deren Fahrgäste bis zum Ende der Sommersaison 2014 keinerlei Einschränkungen bemerkten; auch die Spargelfahrten konnten mit dem gewohnten Programm durchgeführt werden.
Von Oktober bis Dezember 2014 war die Gaststätte mit auch zeitlich reduziertem Angebot an den Wochenenden weiter geöffnet, bis schließlich am 30. Dezember 2014 unter großer Resonanz der Dorfbevölkerung und der Selfkantbahner "die Fässer leer getrunken wurden". Danach war das Lokal vorerst geschlossen.
Gespräche über eine Nachfolgeregelung wurden von Josef Rütten zwar weiter geführt, führten jedoch erst zum Erfolg, als die traditionsreichen "Gangelter Einrichtungen Maria Hilf", die auf eine mehr als 150jährige Geschichte zurückblicken können und heute unter dem Namen "Katharina Kasper ViaNobis GmbH" firmieren, sich zur Übernahme des Gaststättenbetriebes entschlossen. Zu Ostern 2015 wurde das Lokal wieder eröffnet und das Angebot in allerdings zunächst noch etwas reduziertem Umfang fortgeführt. Als Organisator des Betriebes fungiert für die Anfangsphase der in Schierwaldenrath wohnhafte ViaNobis-Mitarbeiter Bernhard Errens, die wichtige Funktion der Wirtin nimmt jedoch Anja Heuter wahr, die zuvor für mehrere Jahre unter der Familie Schulz hier tätig war und den Betrieb daher bestens kennt.
Die Fahrgäste der Selfkantbahn werden also auch künftig zu Speis und Trank dort einkehren können. An schönen Tagen sind die Tische und Stühle vor der Gaststätte von den Selfkantbahn-Fahrgästen gut besetzt, und auch die Spargelfahrten, um die die Selfkantbahner lange bangen mussten, konnten ab Ostern 2015 wieder beworben und mit sehr guter Resonanz angeboten werden. Im Januar 2016 wurden die Gasträume neu gestrichen. Die schon länger geplante große Renovierung wurde nach dem letzten Betriebstag der Selfkantbahn im Herbst 2017 begonnen.
Ostern 2018 wurde die Gaststätte unter dem Namen „Gleis 3“ neu eröffnet. Leider wurde das Restaurant zwischenzeitlich wieder geschlossen.
- Auf der ersten Aufnahme geht der Blick in Richtung auf die heutige Fahrkartenausgabe. Links vom Fernseher (die Vergrößerung zeigt das Fabrikat: Schaub-Lorenz) befindet sich der Eingang, an der Stelle des Kalenders an der Wand ist heute der Durchgang zur Toilette.
- Hinter der Theke hat sich Else Beckers in Schale geworfen.
- Hier geht der Blick aus dem ursprünglichen kleinen Warteraum zweiter Klasse in den Gesellschaftsraum. Die beiden Räume konnten durch eine hölzerne Falttür getrennt werden, die erst 2006 entfernt wurde. Auf der Rückseite der Wand in der Bildmitte befindet sich das Kruzifix.
- Die Wirtinnen mit Gästen: in der Bildmitte die Seniorchefin Josefine Beckers, davor ihre Töchter Luise (links) und Else, links die Brüder Hans und Herbert Ohlenforst.
Bauliche Entwicklung und Nutzung
Bauliche Entwicklung und Nutzung des Gaststättengebäudes
Das ursprünglich vorhandene Gebäude ist in seinem Kern bis heute erhalten geblieben und lediglich durch Anbauten erweitert worden, allerdings fielen der Beseitigung von Kriegsschäden nach 1945 viele Gestaltungselemente des äußeren Mauerwerkes zum Opfer. Die augenfälligste Veränderung war der Ersatz der gewölbten Stürze über den Fenstern und Türen durch die heute noch vorhandenen waagrechten Abschlüsse, doch wurde auch die durch Ziegelvorsprünge erfolgte Gliederung des Mauerwerkes abgeschlagen und das Gebäude 1956 in Gänze verputzt.
An der zur Straße Am Bahnhof weisenden Gebäudeecke, die früher zum Stallanbau gehörte, befindet sich in einer Wandnische ein Kruzifix, dessen Sockel das Christusmonogramm IHS (die Gleichheit mit der Abkürzung des Selfkantbahn-Fördervereins IHS ist Zufall) und die Jahreszahl 1884 trägt. Es konnte bisher nicht geklärt werden, ob dieses Kruzifix zuvor an anderer Stelle stand oder ob das Gebäude darum herum gebaut wurde.
Das heutige Gesellschaftszimmer im Nordflügel des Gebäudes war bis 1951 ein Stall, in dem Schweine, Schafe, Hühner und ab und zu auch Ziegen gehalten wurden. Die Toiletten befanden sich bis 1982 neben diesem Raum und waren bis 1971 nur von außen zu erreichen. Man ging rechts an der Theke vorbei durch eine nicht mehr existierende Türöffnung, wandte sich nach links zur heutigen Küche und verließ das Gebäude in Richtung Westen, wo sich ein kleiner Hof befand, von dem aus die Toiletten zugänglich waren. Über diesen Hof war auch die 1924 gebaute und im zweiten Weltkrieg zerstörte Kegelbahn zu erreichen, die, wie damals üblich, in einem separaten Gebäude, etwa an gleicher Stelle wie heute, lag.
Im Giebel an der östlichen Schauseite des Gebäudes war eine Uhr untergebracht, die über ein Schlagwerk verfügte (Halbstunden- und Stundenschlag), was für eine Bahnhofsuhr doch ungewöhnlich war. Sie war von einem Urgroßvater von Annemie Beckers, einem gelernten Turmuhrmachermeister, gebaut worden. Ob die Uhr, wie von Luise Beckers mitgeteilt, tatsächlich unter Zuhilfenahme einer Leiter von außen aufgezogen werden mußte, ist allerdings umstritten. Den Krieg überstand die Uhr nicht. Die Maueröffnung hierfür wurde verschlossen, ist allerdings von innen weiter erkennbar.
Die Mitarbeiter der Selfkantbahn hatten stets den Wunsch, an dieser Stelle wieder eine Uhr zu installieren, die die Erinnerung an die ursprüngliche Situation wachhalten sollte. Mehr als 40 Jahre nach Aufnahme des Museumsbahnbetriebes ging dieser Wunsch endlich in Erfüllung. Am 8. Dezember 2012, dem 60. Geburtstag des an der Rekonstruktion der Uhr seit Jahrzehnten besonders interessierten Autors dieser Zeilen, wurde nach langen Vorbereitungen eine in aufwendiger Eigenleistung der Selfkantbahner neu gebaute Uhr montiert, die der alten weitgehend entspricht, jedoch (vorerst?) ohne Schlagwerk auskommen muß und - anders als ihre Vorgängerin - nicht im, sondern auf dem Mauerwerk sitzt; ferner ist sie bei Dunkelheit nunmehr von innen beleuchtet. Sie ist an die zentrale Uhrenanlage des Bahnhofs Schierwaldenrath angeschlossen und weist dem Wanderer und Fahrgast zuverlässig die richtige Zeit.
Das Gebiet um Schierwaldenrath war in der letzten Phase des zweiten Weltkrieges heftig umkämpft, die Front verschob sich hier mehrfach. Entsprechend groß waren die Gebäudeschäden: die Bahnhofsgaststätte wurde schwer beschädigt, die Kegelbahn gar vollständig zerstört, dies allerdings nicht, wie in den Städten, durch Fliegerbomben, sondern vorwiegend durch Artillerie- oder Fliegerbeschuß. Im Oktober 1944 flüchtete die Familie Beckers zuerst nach Zeitz, dann nach Nordhausen in Thüringen und kehrte erst Ende 1945 zurück. Sie fand ihre Gaststätte nicht nur zerschossen, sondern auch teilweise geplündert vor. Trotzdem konnte nach umfangreichen Aufräumungsarbeiten der Restaurationsbetrieb bereits Anfang 1946 wieder aufgenommen werden. Züge verkehrten allerdings erst wieder ab dem September 1946. Der Warteraum 2. Klasse, der die geringsten Beschädigungen aufwies, diente als Wohnraum und Küche, geschlafen wurde im damals noch recht kleinen Keller. Eine Kegelbahn gab es zu dieser Zeit nicht, sie war nicht wieder aufgebaut worden.
- Die beiden ersten könnten von 1957 sein. Im Fenster rechts neben der Tür wird mit "Hier Fernsehen und Coca-Cola" geworben, während auf der nächsten, vermutlich etwas später entstandenen Aufnahme das Fernsehen schon nicht mehr etwas Besonderes darstellte. Die entsprechende Werbung wurde entfernt, stattdessen wird nun Schöller-Eis und 7up angepriesen.
- Die Luftaufnahme muß zwischen 1956 und 1960 entstanden sein. Erkennbar ist die Trapeztafel für aus Richtung Gangelt kommende Züge, die etwa am heutigen Standort der Platane auf dem Bahnsteig zu finden war.
Einen größeren Umbau gab es dann wieder ab 1971, als der Anbau an der Westseite gebaut wurde. Er ist - wie ein Teil des Hauptbaues - unterkellert und beherbergt einen weiteren Gastraum, die Kegelbahn und die Küche, die sich bis dahin im 1. Stock befunden hatte. Daneben war es nun auch möglich, die Toiletten, die zunächst noch an der alten Stelle verblieben, von innen zu erreichen. Die zuvor bestehende Ofenheizung wurde durch eine ölgefeuerte Zentralheizung ersetzt. Speisen und Getränke konnten nun in einem eigenen Kühlkeller gelagert werden, wobei die Kühlung bis 1972 durch von der Brauerei geliefertes Stangeneis erfolgte. Dieses Stangeneis wurde selbstverständlich schon seit Jahrzehnten mittels Kältemaschinen erzeugt, doch konnte sich Josefine Beckers auch noch an ein anderes Verfahren erinnern: die Brauerei Ohlenforst im benachbarten Langbroich beispielsweise hatte einen eigens zur Eisgewinnung angelegten Teich, der im Winter zufror. Das Eis wurde ausgepickt, in speziell hergerichteten Kellern gelagert und mußte dann für die gesamte warme Jahreszeit reichen.
Ein wichtiges Element der Kundenbindung war für Gaststätten in den fünfziger und frühen sechziger Jahren ein Fernseher. Den gab es damals natürlich auch in der Schierwaldenrather Bahnhofsgaststätte. Ein leider nicht erhaltenes Schild im Fenster rechts des Einganges machte mit dem Lockruf "Hier Fernsehen und Coca Cola" darauf aufmerksam. Nach einer Schilderung von Annemie Heinrichs vom Gemeinschaftsempfang des legendären Endspieles der Fußball-Weltmeisterschaft in Bern am 4. Juli 1954 fiel der Fernseher kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit aus, konnte jedoch dank eines Fahrradkuriers schon kurz nach dem Beginn der zweiten Halbzeit durch ein Ersatzgerät aus dem Nachbardorf Kreuzrath ersetzt werden.
1975 wurde nach Abriß des kleinen Güterschuppenanbaus an der Südseite ein Waschraum für die Mitarbeiter der Selfkantbahn sowie eine "Garage" gebaut, die tatsächlich aber sehr bald der Selfkantbahn, die zu diesem Zeitpunkt noch über keinerlei Gebäude verfügte, als bescheidene Werkstatt diente - der Opel Rekord C von Luise Beckers hat nur wenige Tage darin verbracht. Auf der von den GKB übernommenen Standbohrmaschine wurden hier beispielsweise auch Schwellen gebohrt. Einen befestigten Boden gab es nicht, lediglich eine Kieseindeckung.
Zwei Jahre später folgte schließlich die Aufstockung des ehemaligen Stallanbaus zur Gewinnung einer weiteren Wohnung, die bis zu ihrer Heirat von Luise Beckers genutzt wurde. 1982 wurde die beschriebene "Garage" zur heutigen Toilettenanlage umgebaut und die Fläche der alten Toilette den Küchenräumen zugeschlagen.
Eine bauliche Erweiterung im Außenbereich wurde am 11. August 2001 in Betrieb genommen, als im Zusammenhang mit einem Dorferneuerungsverfahren, von dem auch die Selfkantbahn profitieren konnte, ein zusätzlicher Biergarten gegenüber der Terrasse eröffnet wurde, der seither unzähligen Gästen der Selfkantbahn Platz für die Einnahme von Speis und Trank bieten konnte. Teils umfangreiche Renovierungsarbeiten wurden jedoch - vor allem ab 2008, als die Familie Rütten das Gebäude übernahm - auch im Inneren durchgeführt; für den Gast nicht immer sogleich erkennbar, für die Erhaltung des Gebäudewertes jedoch wertvoll und unerläßlich. Die auffällige Außentreppe mußte zur Jahrtausendwende auf behördliche Anforderung errichtet werden, da der Zugang zu den Obergeschossen bis dahin nur durch den Gastraum oder die Küche möglich war.
Mitte 2012 wurde auf der Nordseite des Gebäudes mit einer erneuten Erweiterung in Form eines kleinen Verkaufsraums begonnen, von dem aus durch einen neuen Durchgang ein weiterer Zugang zur Gaststätte möglich ist. Auch der rückwärtige Zugang zur Küche wurde in diesem Zusammenhang geändert und auf die Höhe der Küche angehoben. Das Erweiterungsgebäude wurde im Juni 2013 fertiggestellt, doch konnte die Eröffnung erst am 27. November 2013 stattfinden. Hier war nunmehr eine Backwarenverkaufsstelle der Bäckerei Backhaus untergebracht, ferner wurden die landwirtschaftlichen Produkte der Wirtsfamilie Rütten angeboten. Der neue Durchgang ist der Zugang zum Gesellschaftszimmer der Gaststätte (dem ehemaligen Schweinestall), das nunmehr während der Öffnungszeiten der Verkaufsstelle als Café betrieben wurde.
Nach dem plötzlichen Tod der Wirtin Anni Rütten am 6. Mai 2014 mußte der Verkaufs- und Cafébetrieb in diesem Bereich vorerst wieder aufgegeben werden. Zu den Pfingstfeiertagen 2015 (24. und 25. Mai) wurde jedoch unter dem neuen Betreiber ViaNobis wegen des großen Andrangs dort wieder ein provisorischer Eisverkauf "durch die Tür" eingerichtet, um der Nachfrage gerecht werden zu können.
Die beiden Obergeschosse des Gebäudes waren - mit wechselnder Aufteilung und baulicher Ausstattung - stets auch die Wohnung der Wirtsfamilien gewesen. Das änderte sich erst im Jahre 2008 mit der Übernahme durch das Ehepaar Rütten, das seine Wohnung in Stahe beibehielt. Für wenige Wochen zog zwar deren Sohn Guido ein, doch fand er alsbald eine besser geeignete Bleibe. Ihm folgte der Koch der Gaststätte, der aus Polen stammende Peter Schmöckel mit seiner Gattin Christine, die mit der Wirtsfamilie verwandschaftlich verbunden waren (Christines Tochter Kasia ist mit Holger Rütten, einem weitereren Sohn von Josef Rütten, verheiratet) und einen Teil der Wohnräume nutzten. Er ging im Herbst 2014 in den Ruhestand und zog aus der Wohnung aus. Seither stehen die Wohnräume vorerst leer.
- So zeigt sich das Kruzifix in der Mauernische des früheren Stallgebäudes seit weit mehr als hundert Jahren dem Besucher. Seit dem 28. November 1986 ist es in die Denkmalliste des Kreises Heinsberg eingetragen.
- Gaststätte "Zur Selfkantbahn" im Jahr 2009.
- Die Gaststätte mit den Erweiterungsgebäuden, in denen sich heute ein weiterer Gastraum und die Kegelbahn (links) sowie zwei Sozialräume der Eisenbahner (Gebäude vorne rechts) befinden.
- Luftaufnahme aus dem Jahr 2003. Hier ist deutlich zu erkennen, wie sich das Gelände – rund um die Gaststätte – verändert hat.
Die Gaststätte und die Kreisbahnen
Die Gaststätte und die Geilenkirchener Kreisbahnen
Wie vielfach üblich, waren die Inhaber der Gaststätte auch Bahnagenten, die Fahrausweise verkauften und die Güterabfertigung besorgten. Im Personenverkehr wurden vorgedruckte Fahrkarten für den Binnen- und, in beschränktem Umfang, auch für den Wechselverkehr zur jeweiligen Staatsbahn ausgegeben (zum Beispiel nach Aachen und Düsseldorf), außerdem Zeitkarten. Fahrkartenschrank und Prägestempel waren an der Theke untergebracht.; sie sind nach langer Lagerung auf dem Speicher erst kurz vor Aufnahme des Museumsbetriebes der Selfkantbahn leider dem Müll überantwortet worden.
Die Konzession war mit der Auflage erteilt worden, daß Fahrgäste der Kreisbahn sich ohne Verzehrzwang in der Gaststätte aufhalten konnten. Für die der 3. Klasse war der heutige Hauptgastraum gleichzeitig Warteraum, die besser situierten Fahrgäste hingegen, die sich eine Fahrt in der 2. Klasse erlauben konnten, hatten ihren eigenen kleinen Warteraum rechts vom Eingang, der mit einer heute noch erhaltenen Stuckverzierung an der Decke, drei kleinen Tischen, einem großen Spiegel, Jagdtrophäen, Seidentapeten (!) und geschnitzten Stühlen deutlich besser ausgestattet war. Noch bis Ende des 20. Jahrhunderts hieß es bisweilen, wenn von alten Schierwaldenrathern dieser Raum genannt wurde, "in de tweede Klas".
So ist es von Luise Beckers mündlich überliefert. Die Agenturverträge aus den Jahren 1924 und 1950 enthalten eine entsprechende Bestimmung zwar nicht, doch muß aus dem Sachzusammenhang geschlossen werden, daß es sich tatsächlich so verhielt. Nicht überliefert ist auch, ob es jemals eine Kontrolle der Berechtigung zum Aufenthalt "in de tweede Klas" durch die Wirtsleute gegeben hat. Es dürfte wohl als wenig wahrscheinlich angesehen werden können.
Im Güterverkehr wurden Stückgüter und Wagenladungen abgefertigt und die erforderlichen Frachtbriefe ausgestellt. Für die Lagerung von Stückgütern war etwa dort, wo sich heute die Kastanie zwischen dem Prellbock auf Gleis 1 und dem Weg nach Kreuzrath befindet, ein etwa 3 x 5 m großer Wellblechschuppen mit Schiebetor gebaut worden. Diese Wellblechbude war zur Eröffnung jedoch noch nicht vorhanden. Ein erst 2011 ausgewertetes Foto zeigt das Gaststättengebäude noch im ursprünglichen Zustand, also vor den Zerstörungen des zweiten Weltkrieges, jedoch ohne die Wellblechbude.
Die Wellblechbude wurde im zweiten Weltkrieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Ersatz wurde durch einen kleinen - nicht mehr vorhandenen - Anbau an die Gaststätte an der Stelle der nachmaligen Garage und späteren Toilettenanlage geschaffen, der bis zu deren Bau im Jahre 1975 der IHS als Geräteschuppen diente.
Die Abfertigung von Wagenladungen beschränkte sich in den letzten Jahren des Eisenbahnbetriebes im Wesentlichen auf Kunstdünger sowie den Zuckerrübenverkehr zu den Fabriken in Elsdorf und Jülich, in geringem Umfang auch Dormagen (von Luise Beckers wurde auch Ameln genannt). Für den Rübenverkehr wurden von den Empfängern teilweise vorgedruckte Frachtbriefe beigestellt. Beim Eingang von Stückgütern mußten von der Agentur sogenannte Aviskarten mit der Aufforderung zur Abholung an die Empfänger in Schierwaldenrath und den umliegenden Dörfern versandt werden, für die die Kreisbahn Portoersatz leistete. Die Praxis sah jedoch meist so aus, daß vor dem zweiten Weltkrieg die Kinder der Familie Beckers die Karten mittels Fahrrad selbst auslieferten und so das - gleichwohl erstattete - Porto gespart wurde.
Die Gaststätte, die erst nach dem zweiten Weltkrieg ein Posttelefon erhielt, war an die Streckenfernsprechleitung der Kreisbahn angeschlossen. Jedes der mit Kurbelinduktoren ausgestatteten Streckentelefone hatte ein eigenes Rufzeichen, das des Bahnhofs Schierwaldenrath lautete nach Luise Beckers lang-kurz. Dieses Zeichen entpricht im Morsecode dem Buchstaben N. Ob und wie die Betriebsstellen der Geilenkirchener Kreisbahnen auf diese Weise codiert wurden, ist noch unbekannt; eine Vorschrift hierzu - die es gegeben haben muß - wurde bisher nicht aufgefunden. Jedenfalls haben sich Rufzeichen und vergleichbare Signale der Eisenbahnen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts eng an das Morsealphabet angelehnt, da das Morsen in der Kommunikation bis dahin allgegenwärtig war.
Die Leitung war nur einpolig, was eine hohe Empfindlichkeit der Anlage gegenüber Blitzeinschlägen bedingte. Unbeabsichtigtes Klingeln bei Gewitter und kleinere Einschläge mit Telefonausfällen waren die Regel, und einmal ist der Schierwaldenrather Fernsprecher in Anwesenheit von Luise Beckers durch einen Blitz regelrecht zerfetzt worden.
Namen und Betrieb
Namen und Gaststättenbetrieb
Eine vermutlich um 1930 entstandene Postkarte nennt das Lokal "Restauration zum Bahnhof", doch ist in sehr starker Vergrößerung unter dem damals noch gewölbten Sturz über der Eingangstür ein gläsernes Transparent mit dem Text "Restauration von Jakob Beckers." in einer Schriftgestaltung zu erkennen, die die Entstehung auf die Eröffnung der Gaststätte zur Jahrhundertwende datieren läßt. Doch müßte es dann Josef statt Jakob heißen, die Vergrößerung läßt aber zur Not auch diese Deutung zu. Mit "Restauration zum Bahnhof" hat also der Postkartenverlag (Verlag u. Photo Armatage, Düsseldorf-Rath) wohl nur die Zuordnung gemeint, der Name war dies nicht.
- Ansichtskarte aus den frühen Jahren des Gaststättenbetriebes (um 1930).
- In der Vergrößerung kann man den Namen "Restauration von Jakob Beckers." erahnen.
Zur Renovierung nach den Zerstörungen des zweiten Weltkrieges gab es dort ein vereinfachtes Glasschild "Gaststätte Beckers STERN-PILS". Für eine kurze Zeit um 1970 soll das Lokal "Zur Bahn" geheißen haben, doch muß hierfür noch ein Beleg gefunden werden. Etwa Mitte der siebziger Jahre, als eine Renovierung der Außenfront mit Erneuerung der Leuchttransparente anstand, wurde dann der Name "Zur Selfkantbahn" gewählt.
Auch wenn dieser Name seither bekannt und gebräuchlich ist, so ist der Sprachgebrauch in Schierwaldenrath bis heute (2015) ein anderer. Auch die jungen Bewohner bezeichnen die Gaststätte auf Platt in der Regel als "de Bahn", mit je nach Situation wechselnden Präpositionen meist "in de Bahn" oder "an de Bahn". Wenn sich Schierwaldenrather also "in de Bahn" verabredeten, so findet dieses Treffen eben nicht im Bahnhof der Selfkantbahn statt, sondern am Tresen der unmittelbar benachbarten Bahnhofsgaststätte.
Die Zahl und die Bedeutung dörflicher Gaststätten hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Gab es früher einmal drei Gaststätten im heutigen Schierwaldenrath, so war schon lange vor Aufnahme des Museumsbetriebes der Selfkantbahn die Bahnhofsgaststätte als einzige verblieben. Eine Gaststätte auf der Oberstraße in der Nähe der Kirche überlebte den zweiten Weltkrieg nicht, die Gaststätte Tholen in der Nachbarschaft der Bahnhofsgaststätte auf der Straße Palz schloß 1966.
Die Fahrgäste der Kreisbahn sorgten bis zum 1. Oktober 1960, als der Personenverkehr auf der Schiene eingestellt wurde, für eine bescheidene Grundauslastung. Noch bis Ende der siebziger Jahren konnte die Bahnhofsgaststätte jedoch auch an Werktagen tagsüber öffnen; die Lieferanten und Kunden des unmittelbar gegenüber liegenden Mühlenbetriebes Thevis sorgten für einen teils regen Betrieb. Noch Mitte der siebziger Jahre warteten mit Getreide beladene Treckeranhänger auf der Straße vor der Mühle und deren Fahrer am Tresen der Gaststätte, und die bei dieser Gelegenheit konsumierten Getränke hießen in der Regel nicht Cola und Fanta.
Für die Mitarbeiter der Selfkantbahn hielt die Gaststätte in der ersten Hälfte der siebziger Jahre im ersten und zweiten Obergeschoß in vier Zimmern Übernachtungsmöglichkeiten für bis zu 7 Personen bereit, da nur noch ein kleiner Teil von den Schwestern Annemie und Luise Beckers als Wohung genutzt wurde. Dieses Angebot mußte jedoch wegen baulicher Unzulänglichkeiten und Eigenbedarf in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre aufgegeben werden.
Seit Beginn der achtziger Jahre beschränkten sich die Öffnungszeiten der Gaststätte in der Regel auf die Zeiten nach 17 Uhr sowie den sonntäglichen Frühschoppen, der Montag war über Jahrzehnte der traditionelle Ruhetag. Das galt jedoch nicht an den Tagen, an denen die Selfkantbahn fährt: dann lud die Gaststätte selbstverständlich auch tagsüber zu einem Besuch ein. Ein Mitte der achtziger Jahre von den damaligen Wirtsleuten Albertine und Willi Hallmann durchgeführter Versuch, auch an Werktagen einen Mittagstisch anzubieten, wurde nach wenigen Wochen mangels Resonanz wieder beendet.
Der Einfachheit halber ist in diesem Bericht stets von der Bahnhofsgaststätte Schierwaldenrath die Rede, doch ist dies für die Vergangenheit nicht ganz korrekt. Die Ortsgrenze zwischen den Dörfern Langbroich und Schierwaldenrath, die heute die Straße von Birgden nach Harzelt in Nord-Süd-Richtung durchschneidet, verlief ursprünglich in Ost-West-Richtung dergestalt, daß nur die Häuser um die Kirche an der Straße nach Laffeld (Oberstraße) zu Schierwaldenrath gehörten. Der Bahnhof lag folglich in Langbroich und hieß zunächst auch so. Schon nach wenigen Jahren wurde er umbenannt in "Langbroich Schierwaldenrath" (auch: "Langbroich (Schierwaldenrath)", "Langbroich-Schierwaldenrath"). Bei der Aufnahme des Museumsbetriebes Anfang der siebziger Jahre war "Langbroich-Schierwaldenrath" in Gebrauch, auch ein nachgefertigtes Bahnhofsnamensschild hierzu gab es. Der genaue Zeitpunkt der endgültigen Etablierung von "Schierwaldenrath" als Bahnhofsnamen muß noch ermittelt werden, er wird aber in den frühen siebziger Jahren zu verorten sein.