In den letzten beiden Jahrzehnten des vorletzten Jahrhunderts waren die bis dahin gebauten Eisenbahnstrecken zu einem dichten Eisenbahnnetz zusammengewachsen, das die wichtigsten Industriezentren und Ballungsräume miteinander verband. Städte und Gemeinden abseits der Bahnlinien hatten die großen wirtschaftlichen Vorteile eines Bahnanschlusses erkannt und bemühten sich, den Anschluß an die "große, weite Welt" nachzuholen. Doch viele der geplanten Strecken ließen kein ausreichend großes Verkehrsaufkommen erwarten, um ein gesundes Betriebsergebnis erwirtschaften zu können. Meistens verlief die geplante Streckenführung durch dünn besiedelte, landwirtschaftlich geprägte Landstriche mit wenig Industrie.

Um diesen Regionen dennoch die eisenbahnmäßige Erschließung zu ermöglichen, wurde am 28. Juni 1892 das Preußische Kleinbahngesetz verabschiedet. Kleinbahnen waren darin definiert als "...dem öffentlichen Verkehr dienende Eisenbahnen, welche wegen ihrer geringen Bedeutung für den allgemeinen Eisenbahnverkehr dem Gesetze über die Eisenbahnunternehmungen vom 03.11.1838 nicht unterliegen".

Das Kleinbahngesetz befreite die Bahnen untergeordneter Bedeutung von den strengen Auflagen des bisher allein geltenden Eisenbahngesetzes von 1838 und machte die Realisierung zahlreicher Eisenbahnverbindungen dadurch erst möglich. Es schuf für diese "Kleinbahnen" eine Reihe von Erleichterungen betrieblicher und baulicher Art, um auch bei geringerem Verkehrsaufkommen einen einigermaßen rentablen Betrieb ermöglichen. Ein einfacher Oberbau, leichte Schienen, größere Steigungen und engere Kurven halfen die Baukosten zu senken. Teure Kunstbauten, Geländeeinschnitte und Dammschüttungen konnten auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben. Mit den Kleinbahnen fand auch die Verwendung der Schmalspur eine größere Verbreitung, die eine bessere Anpassung an das Gelände und damit eine weitere Senkung der Baukosten gestattete.

Viele Kleinbahnen benutzten zumindest auf Teilstrecken den Straßenraum oder folgten bestehenden Straßen in Seitenlage. Erst in späteren Ausführungsbestimmungen zum Kleinbahngesetz wurde zwischen "Straßenbahnen" und "nebenbahnähnlichen Kleinbahnen" unterschieden. Eine genaue Abgrenzung zwischen Kleinbahnen und Straßenbahnen ist aber schwierig. So waren manche elektrischen Überlandstraßenbahnen als Kleinbahn konzessioniert, so beispielsweise Strecken der Aachener Kleinbahn-Gesellschaft.

Im Gegensatz zu den Staatsbahnen verzichtete man bei den privaten Kleinbahnen zumeist auf die übliche Trennung zwischen Personen- und Güterverkehr; sogenannte GmP (Güterzüge mit Personenverkehr) prägten vielerorts das Erscheinungsbild der Bahnen. Wegen des einfach verlegten Gleises waren zulässige Höchstgeschwindigkeiten über 30 km/h selten üblich.

Während in Sachsen, der bayerischen Pfalz und Württemberg der Staat zahlreiche Schmalspurbahnen erbaute, überließ Preußen über das Kleinbahngesetz Privatinitiativen den Kleinbahnbau. Neben Aktiengesellschaften traten hier besonders Gebietskörperschaften, also Gemeinden und Kreise, als Unternehmer in Erscheinung. Diese "Kreisbahnen" waren zur regionalen Wirtschaftsförderung gedacht. Bau und Betrieb überließen die Kreise oft erfahrenen Kleinbahnkonzemen, z.B. der Eisenbahnbau- und Betriebsgesellschaft Lenz & Co. aus Stettin.

Die meisten Kleinbahnen konnten während ihrer Betriebszeit nur bescheidene Gewinne erzielen - manche blieben Zeit ihrer Existenz ein Zuschußgeschäft - und fielen als erste der beginnenden Straßenmotorisierung zum Opfer. Nur wenige überlebten bis in die heutige Zeit.

 


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